24.10.2005

Höltigbaum: Auch Kuhfladen und Ameisenhügel haben ihren Nährwert

Experten erörtern Beweidungsergebnisse der Halboffenen Weidelandschaft

Das Naturschutzgebiet Höltigbaum bei Hamburg-Rahlstedt ist nicht nur ein bekanntes Naherholungsgebiet, es ist auch ein wichtiges Forschungsgebiet für Wissenschaftler. Über 170 Fachleute trafen sich auf Einladung des Kreises Stormarn und der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein am vergangenen Mittwoch in Bad Oldesloe, um die Auswirkungen extensiver Beweidung durch Robustrinder und Schafe auf die Tier- und Pflanzenwelt zu diskutieren. Fünf Jahre lang hatten die Biologen das rund 220 Hektar große Beweidungsprojekt der Stiftung Naturschutz im Rahmen eines vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben unter die Lupe genommen. Jetzt haben sie die Ergebnisse vorgetragen.

Überraschend war die große Bedeutung der Kuhfladen für das Gebiet: Nach Berechnungen der Wissenschaftler produzieren die Rinder auf dem Höltigbaum Fladen mit einer zusammenhängenden Fläche von rund drei Hektar im Jahr. Diese Biomasse wird von vielen Insekten als Nahrung genutzt. Auch die Ausbreitung der Ameisenhügel hat eine hohe Bedeutung für die Vogelwelt: Der Grünspecht, der sich nur von Ameisen ernährt, hat deshalb hier ein neues Refugium gefunden.

Die Beweidung wirkt sich ausgesprochen positiv auf die Lebensräume des Höltigbaum aus. Die ehemals monotonen Grasfluren sind jetzt mit Sträuchern und Bäumen durchsetzt und artenreicher geworden – viele Kräuter sind eingewandert. Besonders seltene Arten, wie die Rundblättrige Glockenblume, breiten sich wieder aus. Erfreulich haben sich auch die Bestände des stark gefährdeten Tausendgüldenkraut, eine alte Heilpflanze, das unscheinbare Ferkelkraut und die Borstgrasrasenbestände entwickelt. Vielen anderen Arten ging es wünschenswerter Weise an den Kragen: Die Rinder und Schafe haben unter anderem die Bestände des Landreitgras und des Japanischen Staudenknöterich aufgelichtet, so dass neue Arten einwandern konnten.

Vielen Gehölzen konnten die „tierischen“ Landschaftspfleger allerdings nichts mehr anhaben. Sie sind inzwischen zu groß. Die neu aufkommenden Gehölze werden aber zum Teil verbissen – die Neuausbreitung der Gehölze wird dezimiert und stark zeitlich verzögert. Mittelfristig muss aber die Säge eingesetzt werden, um freie Flächen für die Feldlerche zu erhalten.
Auch die Gewässer haben von der Beweidung profitiert: Die Vegetation wird abgefressen und verhindert, dass die Gewässer verlanden. Zwischen der lichteren Vegetation fühlen sich seltene Libellen-Arten wohl. Neben Gras- und Moorfrosch zählt auch der europaweit seltene Kamm-Molch zu den Gewinnern. Seine Bestände sind so bedeutend, dass der Höltigbaum als Schutzgebiet in das europäischen Netz NATURA 2000 aufgenommen wurde.

Weil die Rinder an den feuchten Ufern stellenweise die den Boden auftreten, werden Samen seltener Pflanzen freigelegt, die deshalb wieder auskeimen können. Der in Schleswig-Holstein vom Aussterben bedrohte Sumpfquendel kommt inzwischen an fast allen Gewässern auf dem Höltigbaum vor. Auch die Laufkäfer profitieren von der Uferbeweidung: Während im Jahr 2000 am Ufer der Wandse noch 27 ihrem Tagesgeschäft nachgingen, waren es 2003 schon 34 Arten.

Nur im Bereich der trockenen, vegetationsfreien Flächen - Lebensraum für viele Bienen und Wespen - zeigt sich, dass Rinder und Schafe keine Panzer sind: hier nimmt die Vegetationsbedeckung stellenweise leicht zu, wodurch ein leichter Rückgang von Grabwespenarten zu verzeichnen ist. An steileren Hängen gelingt es den Weidetieren, den Boden offen zu halten. Hier kommen erdnistende Bienen und Wespen zum Teil in sehr großen Populationen vor.

Auch die betriebswirtschaftliche Bilanz einer Ganzjahresweide stand im Mittelpunkt des Interesses. Langfristig rechnet sich diese Bewirtschaftungsform für Landwirte, wenngleich für eine Halboffene Weidelandschaft etwas Idealismus und viel Erfahrung benötigt wird, waren sich die Experten einig. Wenn diese Art der Beweidung auf weiteren Flächen organisiert werden soll, muss diese ökologische Leistung mit staatlicher Hilfe unterstützt werden. Zumal auf mageren Flächen im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft weniger Tiere länger grasen müssen, um schlachtreif zu werden.

Der ehemalige Standortübungsplatz Höltigbaum wurde von Hamburg und Schleswig-Holstein nach Aufgabe seiner militärischen Nutzung unter Naturschutz gestellt. Die schleswig-holsteinischen Flächen wurden mit Hilfe der umliegenden Kommunen dem Bund abgekauft und werden von der Stiftung Naturschutz betreut. Nach intensiven Gesprächen, unter Beteiligung des Umweltamtes des Kreises Stormarn, entschied man sich für die halboffene Weidelandschaft als Nutzungsform. Hierbei erfolgt eine ganzjährige Rinderhaltung auf einer großen zusammenhängenden Fläche ohne Zufütterung.