31.08.2007

Kreisarchiv erschließt die Entschädigungsakten von Opfern des Nationalsozialismus

Das Kreisarchiv Stormarn stellt zusammen mit Landrat Klaus Plöger am 30.08.2007 das Findbuch zum Bestand „B2 – Opfer des Nationalsozialismus“ vor. Es beinhaltet die Entschädigungsakten, die in der Kreisverwaltung zwischen 1945 und 1970 entstanden sind.
Der Bestand wurde in diesem Jahr vom Praktikanten Florian Bayer von der Universität Hamburg und Dipl.-Archivar (FH) Stefan Watzlawzik vom Kreisarchiv erschlossen.

Dipl.-Archivar (FH) Stefan Watzlawzik vom Kreisarchiv und Praktikant Florian Bayer von der Universität Hamburgauf dem Foto: Dipl.-Archivar (FH) Stefan Watzlawzik vom Kreisarchiv und Praktikant Florian Bayer von der Universität Hamburg


Die rd. 5 Regalmeter mit über 1.000 Einzelakten behandeln ein spannendes und schwieriges Stück der Kreisgeschichte. Nach dem Sieg der Alliierten über das Dritte Reich und der Besetzung Schleswig-Holsteins durch die Briten stellten die durch die Nationalsozialisten verfolgten Opfer, die überlebt hatten, Anträge auf eine Entschädigung.

In den ersten Jahren ging es dabei um konkrete Hilfe zum Leben, wie bevorrechtige Wohnungszuweisung, zusätzliche Lebensmittelrationen oder Zuteilung von Brennholz. Erst mit dem Haftentschädigungsgesetz von 1949 und dem Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung nationalsozialistischer Opfer von 1953 wurde auf finanzielle Entschädigungen übergegangen. Allerdings war eine Wiedergutmachung nur einem Teil der Opfer vorbehalten.

Entschädigungsberechtigt war, wer aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurde und Schäden an Leben, Körper, Freiheit, Eigentum erlitten hatte oder beruflich geschädigt wurde. Opfer, die von dieser Entschädigung ganz oder z.T. ausgeschlossen wurden, waren z.B. ausländische Juden, Homosexuelle, Zwangsterilisierte, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Sinti und Roma, Angehörige nationaler Widerstandsgruppen, polnische und sowjetische Kriegsgefangene sowie Ärzte, die nach §218 StGB vorbestraft waren.


Max Peineauf dem Foto: Max Peine

So ermöglichen die Akten einen Einblick v.a. auf zwei Hauptaspekte – zum einen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945, denn diese musste möglichst anhand von authentischen Quellen, wie Gerichtsurteilen, Unterlagen zur Haft in Konzentrationslagern o.ä. nachgewiesen werden.

Zum anderen wird der Umgang der Behörden der jungen Bundesrepublik mit der unmittelbaren, eigenen Geschichte sowie mit den Geschädigten deutlich. Auch in den Unterlagen der Kreisverwaltung Stormarn ist deutlich festzustellen, dass für die Opfer der Weg zur Entschädigung nicht immer ein einfach und unbürokratisch war. Unter heutzutage willkürlich und abenteuerlich erscheinenden Begründungen wurden z.T. Entschädigungsanträge auch abgelehnt.

So z.B. im Fall von Max Peine (B2/661): Er war als Jude von 1943 bis 1945 in Bad Oldesloe illegal untergetaucht. Sein Entschädigungsantrag wurde vom Land Schleswig-Holstein 1953 mit der Begründung abgelehnt:

„Das oben genannte Gesetz beschränkt die Gewährung der Haftentschädigung auf die Personen, die tatsächlich Ihrer (sic!) Freiheit beraubt waren oder sich in einem Zwangsarbeitslager befanden. Diese Voraussetzungen liegen bei Ihnen nicht vor. [...]

Die von Ihnen genannten Zeugen haben vor einem Amtsrichter ausgesagt, dass Sie sich in Bad Oldesloe frei bewegen konnten. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Stapo tatsächlich nach Ihnen gefahndet hätte. Die Tatsache dass Sie sich in Bad Oldesloe aufgehalten haben, ohne polizeilich gemeldet zu sein, ist in diesem Zusammenhang belanglos.“

Das Schreiben ist als PDF-Dokument unten angehängt.


Gerhard PreußIlse Preußauf den Fotos: Gerhard und Ilse Preuß


Die Akte der Familie Preuß (B2/687) hingegen dokumentiert ganz unmittelbar die Lebenverhältnisse und die Unterstützung, die einer jüdischen Familie gewährt wurde, die nach der Verfolgung und Unterdrückung bis 1945 aus Danzig vor der Roten Armee floh und sich in Ahrensburg in einfachsten Verhältnissen und mit großer Not eine neue Existenz aufbaute.


Nachdem der Bestand jetzt erschlossen ist und im Online-Findbuch auf der Seite www.kreisarchiv-stormarn.findbuch.net recherchiert werden kann, ist ein wichtiges Stück der Nachkriegsgeschichte Stormarns zugänglich gemacht worden.

Dipl. Archivar Stefan Watzlawzik plant noch einen weiteren Schritt: „Der konservatorische Zustand ist bedenklich, d.h. das Papier bröckelt bereits an vielen Stellen und es muss etwas getan werden. Die einfachste und kostengünstigste Lösung ist in diesem Fall die Verfilmung bzw. Digitalisierung. Das wird leider nicht jetzt gleich passieren können, aber wir arbeiten daran.“ So soll in Zukunft v.a. Schulen der Zugriff zu authentischen Quellen erleichtert werden.

Kreisarchivleiter Dr. Johannes Spallek meint abschließend: „Es existierten nur wenig Quellen zu Stormarns Zeit im Nationalsozialismus. Deshalb ist es für uns enorm wichtig, dass dieser Bestand als eine Art ‚Ersatzüberlieferung‘ jetzt erschlossen und für die Forschung zugänglich gemacht worden ist. Sicherlich werden einige interessante Forschungsarbeiten daraus entstehen.“

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