21.01.2010

Archiv Vorträge: Stormarn nach 1945

Das Kreisarchiv Stormarn lädt am 27. Januar zum nächsten Termin der Vortragsreihe ein. Prof. Dr. Norbert Fischer von der Universität Hamburg spricht über Stormarns Neubeginn nach 1945. Los geht’s um 19.00 Uhr im Kreisarchiv in der Mommsenstraße 14, Bad Oldesloe.
Zum Vortrag wird ein Film aus dem Landesarchiv Schleswig-Holstein gezeigt: „Die Bauern von Braak“ von 1955.

Stormarns erste Kreispäsidentin Erika KeckBad Oldesloe zur Kreisstadt gekürt, Stormarnhaus gebaut und B 404 eingeweiht - einige Stichwörter, die zeigen, wie sehr die Nachkriegszeit und fünfziger Jahre das Gesicht des Kreises bis heute geprägt haben. Stormarns Frauen waren damals ihrer Zeit weit voraus: Die erste Gemeindedirektorin der britischen Besatzungszone, Frieda David, wirkte in Rehhorst, und ab 1951 amtierte mit Erika Keck die wohl bundesweit erste weibliche Kreispräsidentin in Stormarn.

auf dem Foto rechts: Stormarns erste Kreispäsidentin Erika Keck

Aber es gab auch schmerzhafte Entwicklungen, die teilweise bis heute nicht vergessen sind. Viele erinnern sich noch an die geliebte Südstormarnsche Kreisbahn, die am 15. März 1952 auf ihre letzte Reise ging.

Stärker noch als andere Regionen mußte Stormarn in jenen Jahren zu einer neuen Identität finden. Nazi-Zeit, Diktatur und Terror hatten viele Wunden geschlagen, die nach 1945 aufbrachen. Dies betraf nicht nur die politische Unterdrückung: Das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937/38 hatte dem Kreis mit Wandsbek nicht nur seine angestammte „Hauptstadt“ genommen, sondern darüber hinaus noch weitere, wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig bedeutende Gebiete im Süden zum anscheinend übermächtigen Hamburg.

Die letzte Fahrt der Südstormarner Kreisbahn
auf dem Foto: Die letzte Fahrt der Südstormarner Kreisbahn

Damit nicht genug: In den ersten Nachkriegsjahren wurde Stormarn zur Flüchtlings-Hochburg in Deutschland. Kein Landkreis musste mehr Flüchtlinge aufnehmen - auf zehn Einheimische kamen zwölf Flüchtlinge. Das verschärfte die damals ohnehin herrschende Not noch weiter. Zuzug und Neuansiedelung sollten weit über die erste Nachkriegszeit hinaus die Tagesordnung des Kreises bestimmen.

So waren Nachkriegszeit und fünfziger Jahre für Stormarn eine Art „Neugeburt“. Der Kreis wurde zu einem regionalgeschichtlichen Sonderfall, dessen Geschichte nach 1945 insbesondere durch seine Lage zwischen den beiden Metropolen Hamburg und Lübeck geprägt war. Der Kreis drohte zur reinen Transitregion zu verkümmern - durchschnitten von Verkehrsadern zwischen Hamburg und der Ostsee, aber ohne jede eigene Anziehungskraft und Identität.

Diese Skepsis war allerdings unangebracht. Im Jahr 1960 erschien ein Buch über den Kreis Stormarn, das in zahlreichen Einzelbeiträgen eine Art offizieller Bilanz zieht - die Bilanz der Aufbaujahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ging, wie der damalige Kreispräsident Friedrich Hardt im Vorwort schrieb, um „die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, die Wirtschaft aller Zweige, die Kultur, die Arbeit der Kirchen und der Schulen.“ Dieses fünfzehn Jahre nach dem Ende von Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg geschriebene Werk war - sicherlich nicht zu Unrecht - optimistisch gestimmt und voller Mut für die Zukunft.


Norbert FischerNobert Fischer (auf dem Foto rechts) ist Honorarprofessor für Kulturanthropologie und Sozial- und Wirtschaftgeschichte an der Universität Hamburg. Neben Forschungschwerpunkten wie Tod und Bestattung sowie die Geschichte der deutschen Nordseeküste beschäftigt er sich auch mit dem Strukturwandel im Hamburger Umland bzw. in der Metropolregion Hamburg.

Er ist Autor und Mitherausgeber u.a. folgender Bücher:
  • Vom Hamburger Umland zur Metropolregion. Stormarns Geschichte seit 1980. Hamburg 2008
    • Stormarn-Lexikon. Hrsg. von Barbara Günther. Neumünster 2003 (Beiträge und redaktionelle Mitarbeit)

  • Hoisdorf und Oetjendorf. Stormarner Dorfgeschichte im Hamburger Umland (mit Klaus Gille). Neumünster 2001

  • Die modellierte Region. Zur Regionalgeschichte Stormarns und des Hamburger Umlandes. Neumünster 2000

  • Überleben - Leben – Erleben. Die Nachkriegszeit und fünfziger Jahre in Stormarn (mit Barbara Günther). Neumünster 1996