29.03.2012

Eine Katastrophe für Stormarn? - 75 Jahre Groß-Hamburg-Gesetz (1937)

Das Kreisarchiv bietet am kommenden Mittwoch (4. April 2012) um 19.30 Uhr wieder einen Vortrag im Kreistagssitzungssaal an. Anlass ist das 75. Jubiläum des Groß-Hamburg-Gesetzes, das am 1. April 1937 in Kraft trat. Prof. Dr. Norbert Fischer wird über die Entstehung und die für den Kreis bis heute spürbaren Folgen sprechen.

Karte Groß-Hamburg-Gesetz
auf dem Bild: Karte zum Groß-Hamburg-Gesetz (Quelle: Statistisches Landesamt, dunkle Flächen markieren Hamburg bis 1. April 1937, die grauen Flächen die schleswig-holsteinischen Gebiete, die an Hamburg abgegeben wurden).

Der heftigste Einschnitt in der Entwicklung des Kreises Stormarn seit 1867 machte die raumplanerische Zusammenarbeit zwischen Landrat Friedrich Knutzen (Stormarn) und Oberbaudirektor Fritz Schumacher (Hamburg) während der Weimarer Republik mit einem Schlag zunichte. Bereits Ende des Erstens Weltkriegs und in den 1920er Jahren veröffentlichte die Hansestadt mehrere Schriften, die eine großräume Erweiterung Hamburgs in das Umland forderten.

Als Hauptgrund wurde angegeben, dass der wichtigste deutsche Überseehafen nur dann weiter wachsen könnte, wenn auch ausreichend Wohnungen für die Arbeiter zur Verfügung steht. Dieser war in unmittelbarer Nähe des Hafens sehr knapp geworden, u.a. durch den Abriss der Wohnviertel Kehrwieder und Wandrahm, auf deren Fläche ab 1883 die Speicherstadt entstand.

Es musste also nach Alternativen gesucht werden, die nur im Hamburger Umland zu finden waren. Gebietsabtretungen scheiterten aber am Widerstadt Preußens, das nördlich (Provinz Schleswig-Holstein) wie auch südlich (Provinz Niedersachsen) angrenzte. Erst Ende der 1920er Jahre entwickelte sich langsam eine Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen hinaus. Die Stormarner Vorbehalte, von Hamburg einfach „geschluckt“ und völlig verändert zu werden, waren zu diesem Zeitpunkt sehr groß.

Landrat Friedrich KnutzenDer Stormarner Landrat Friedrich Knutzen (links im Bild) schrieb: „Ich halte es nicht für richtig, die Verwaltung großer Landbezirke den Behörden einer Weltstadt zu unterstellen, die für die ländlichen Verhältnisse, für deren Bevölkerung, deren Psyche und deren Bedürfnisse kein volles Verständnis haben können.“ Trotzdem arbeitete inbesondere er auf der preußischen Seite daran mit, die immer stärker werdenden sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Hamburg und Stormarn sinnvoll zu entwickeln.

An der Vorbereitung des Groß-Hamburg-Gesetzes war Stormarn nicht beteiligt. Vielmehr ist es einem Zufall zu verdanken: Als der preußische Ministerpräsident Hermann Göring 1936 in Hamburg besuchte, überzeugten ihn der Reichsstatthalter für Hamburg, Karl Kaufmann, und der Bürgermeister Carl Vincent Krogmann, dass die Erweiterung des Hamburgs unbedingt notwendig sei.

So kam es zur Ausführung eines Gesetzes (ohne parlamentarische Beteiligung), dass einseitig zu einschneidenden Gebietsabtretungen führte. Die Zahl der Stormarner Einwohner sank von 140.000 auf etwa die Hälfte. Und es zog einen erheblichen Verlust an wirtschaftlicher Substanz nach sich, denn der Kreis musste die meisten seiner gewerblich-industriell entwickelten Gebiete – wie Billstedt, Bramfeld und Lohbrügge – abgeben.

Damit wurde Stormarn für etwa zwei Jahrzehnte wieder zu einer ländlich-agrarischen Region, in der Arbeitsmöglichkeiten im Industrie- und Dienstleistungsbereich für den Großteil der Bevölkerung fehlten. Umgekehrt kam lediglich die bisherige Hamburger Exklave Großhansdorf-Schmalenbeck neu in den Kreis.
Das Groß-Hamburg-Gesetz betraf aber nicht nur Stormarn.

Auch Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek sowie Lokstedt wurden eingemeindet. Die Hansestadt wuchs dadurch flächenmäßig um 80 %, bevölkerungsmäßig um 41 %.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Verlagerung der Kreisstadt von Wandsbek nach Bad Oldesloe musste Stormarn ganz von vorn anfangen - es kam zu einer erfolgreichen Neuentwicklung des Kreises.

Informationen zum Referenten:
Prof. Dr. Norbert FischerProf. Dr. Norbert Fischer (rechts im Bild) ist Sozial- und Kulturhistoriker an der Universität Hamburg. In seinen Forschungen beschäftigt er sich mit dem Hamburger Umland sowie Landschaftsgeschichte und räumlichen Wandel insgesamt. Darüber hinaus arbeitet er zu Themen wie der maritimen Kultur und Geschichte an der Nordseeküste und in den Elbmarschen, aber auch Tod und Bestattungskultur.

Er publiziert seit 1996 regelmäßig zur Entwicklung in der Metropolregion Hamburg und insbesondere zu Stormarn. So entstanden neben vielen Aufsätzen die drei Bände „Überleben, Leben, Erleben. Die Nachkriegszeit und fünfziger Jahre in Stormarn“ (zusammen mit Barbara Günther, 1996), „Die modellierte Region. Stormarn und das Hamburger Umland vom Zweiten Weltkrieg bis 1980“ (2000) sowie „Vom Hamburger Umland zur Metropolregion. Stormarns Geschichte seit 1980“ (2008). Er ist auch Mitherausgeber des Stormarn Lexikons (2003).